Über die Steinerne Rinne auf die Vordere und Hintere Karlspitze
T5 II A/BSehr schwere Bergtour
Inhaltsverzeichnis
Der Wilde Kaiser ist ein Gebirge der Extreme.
Nur wenige Gipfel können auf zwei Beinen erwandert werden.
Um die namhaften Kaiserzinnen erklimmen zu können, muss man sich gemeinhin mit deftigem Alpingelände auseinandersetzen.
Dauereinsatz der Hände entspricht dabei eher obligatorischer Natur.
Die Bergtour auf die Vordere und Hintere Karlspitze ist in diese Kategorie einzutaxieren - auch auf ihren wanderbaren
Normalweg.
Die Achse der Karlspitzen trennt den Ost- vom West-Kaiser. In der Verlängerung dieser Nord-Süd-Linie findet man auch prestigeträchtige Ziele wie Totenkirchl, Christaturm und Fleischbank. In der Kletterszene klingen diese Namen wie Musik in den Ohren, erhält man den Zutritt zu diesen Dornen doch exklusiv über senkrechte Felswände. Gegenüber findet man einen der wenigen Wandergipfel im Wilden Kaiser - die Hintere Goinger Halt. Zusammen mit der vorgelagerten Vorderen Goinger Halt ein fast geologisches Spiegelbild der Karlspitzen. Die beiden Karlspitzen und die zwei Halten stellen im Viererpack die Architektur des Ellmauer Tor.
Man kann also behaupten, dass die Vordere und Hintere Karlspitze in einer recht lebhaften Gegend in den Himmel wachsen.
Demgegenüber kann ihnen trotzdem der Status eines Geheimtipp zugesprochen werden.
Denn sobald man am Ellmauer Tor Kurs zu den beiden Gipfeln aufnimmt, ist man nach wenigen Schritten in erhabener Bergeinsamkeit unterwegs.
Grund für den geringen Zuspruch dürfte das weniger gezähmte Gefilde des Normalweg sein.
Dies entspricht nicht den Gegebenheiten des modernen, überversicherten Bergsteigen (ausgebaute Wege, Klettersteig, etc.).
Die naturbelassene Alpin-Route ködert mit ihrem wilden Charakter eher den (im positiven Sinne) Bergsteiger von vorgestern
- die Randgruppe der Individualisten, die solche abenteuerlichen Führen zu schätzen weis.
Wer das volle Felsprogramm abrufen möchte, vermeidet die viel genutzte Wanderlinie aus südlichem Gefilde (Ausgangspunkt Wochenbrunner Alm) zum Ellmauer Tor. Die bessere Wahl ist die nachfolgend vorgestellte Variante von der Griesner Alm via Steinerne Rinne. Diese Kost ist für sich alleine betrachtet schon eine mittelschwere Bergtour. Darüber hinaus erweist sich dieser Zustieg als würdiges Vorprogramm für das erschwernisreiche Hauptprogramm an den Karlspitzen.
Die Bergtour über den Normalweg auf die Vordere und Hintere Karlspitze entspricht der
Tourenkategorie Leichte Klettertouren
.
Anforderungen/Schwierigkeiten
Die Wanderung von der Griesner Alm bis zum Einstieg in die Steinerne Rinne vollzieht sich auf auf breitem, planiertem Ziehweg. Der Aufstieg über die Steinerne Rinne zum Ellmauer Tor ist in einer langen Etappe mit Drahtseilen gesichert. Diese Teilpartie erreicht in den Anforderungen das Niveau eines leichten Klettersteig (A/B). Die Gipfelflanke der Karlspitzen wird über Geröllsteige ferner in freier Kletterei (bis II) eingenommen. Dabei sind die schwierigsten Stellen mit Eisenkrampen entschärft. Die Schlüsselstelle ist leicht überhängend(!) und trotz Entschärfung sehr anspruchsvoll (II). Der Verbindungsgrat zwischen den Gipfeln erweist sich in Teilen als ziemlich ausgesetzt, ist in seinem Anspruch nicht einfacher. Tadellose Trittsicherheit, Erfahrung in leichter Felskletterei sowie eine stabile Psyche sind für diese Bergtour obligatorisch. Auch konditionell ist das Gesamtunternehmen recht fordernd. Ein Normalweg auf dem der ganze Bergsteiger abgerufen werden muss.
Ausgangspunkt
AT-6382 Kirchdorf in Tirol
Kaiserbachtal 6
Parkplatz an der Griesner Alm
GPS-Koordinaten:
Breitengrad: 47.580080
Längengrad: 12.331270
Hütten/Einkehr
Griesner Alm
Stripsenjochhaus (etwas abseits)
Orientierung
Die Route von der Griesner Alm via Eggersteig und Steinerne Rinne fällt in der Orientierung bis zum Ellmauer Tor unproblematisch aus. Der Anschluss bis zum Einstieg in den Fels ist unmarkiert, wird indes durch deutliche Begehungsspuren angezeigt. Die Felsroute durch die Gipfelflanke ist mit roten plus blauen Punkten eingepinselt. Am Grat zwischen den beiden Gipfel findet sich ab und zu ein Steinmann.
Ausrüstung
Von der Griesner Alm über den Klettersteig der Steinerne Rinne zum Ellmauer Tor
T3+ A/BAm Parkplatz an der Griesner Alm (ca. 990 m) lassen wir den Gastrobetrieb zu unserer Rechten, passieren den Kaisertalbach. Am folgenden Wegknoten rechts schwenkend Kurs in Richtung Stripsenjochhaus aufnehmen. Das kahle Weideareal der Russenleiten wird an seiner Begrenzung in einem Bogen nach oben gewandert. Die folgende Abzweigung mit Ziel Fritz-Pflaum-Hütte unbeachtet lassen, unserem Weg die Treue halten. Der Fortschritt öffnet zur Linken das ausgeschliffene Hufeisen der Steinerne Rinne. Die Perspektive gewährt informativen Einblick in unser bald folgendes Vorhaben den Felseinschnitt hinauf. Jenseits einer Bergwachthütte öffnet sich der Sektor des Wildanger. Kurz bevor die finalen Serpentinen zum Stripsenjochhaus beginnen, ist eine Kurskorrektur nötig. Linksseitig entspringt der unscheinbare Zubringer zum Eggersteig - in den wir eindrehen (ca. 1.460 m).
Im Vierteilkreis zum Fels aufschließen. Installierte Drahtseile markieren den Beginn des Eggersteig. Schmal, überdies ausgesetzt, mogelt sich der Schrofenpfad in einer Traverse durch die nördlichen Abbrüche der Fleischbank. Unter Verlust weniger Höhenmeter über ein Band zum Einstieg in den Klettersteig der Steinerne Rinne (ca. 1.520 m). Die beidseitig aufragenden Mauern von Predigtstuhl und Fleischbank sorgen im Felskar für ein ganz besonderes Ambiente. Oft sind Kommandos diverser Seilschaften aus den lotrechten Wänden zu hören. Mit geübtem Auge können die Felsartisten ausgemacht werden - samt einschüchternder Erkenntnis, welche unbedeutende Rolle der Mensch in dieser gewaltigen Landschaft einnimmt.
Gut markiert, durchgehend drahtseilversichert zickzacken wir uns gemächlich den wettergeschliffenen Steilkalk bergan. Der untere Teil ist dabei von besonders starkem Gefälle geprägt. Für nicht Wenige ist die Steinerne Rinne ein vollwertiger Klettersteig. Outdoorsportler in kompletter Klettersteigausrüstung gehören hier zum Bild. Wer allerdings schon in der Steinernen Rinne Probleme hat, sollte die Karlspitzen (angesichts der noch größeren Schwierigkeiten) auslassen. Als alternatives Ziel kann dann die Hintere Goinger Halt ins Visier genommen werden.
Mit zunehmender Höhe legt sich die Steinerne Rinne immer weiter zurück. Die Sicherungen finden ihr Ende, Wandergelände übernimmt die Obhut. Den Untergrund stellt in dieser Passage ein unendlicher Teppich aus grobkörnigem Schutt. Kompaktes Blockgelände kündigt frühzeitig den Scheitelpunkt des Terrain an. Der Korridor durch das Labyrinth verlangt an kurzen Stellen erneut den Einsatz der Hände. Schließlich wird das öde Plateau des Ellmauer Tor unter die Füße gebracht (1.975 m).
Vom Ellmauer Tor über den Normalweg auf die Vordere und Hintere Karlspitze
T5 II
Vom Ellmauer Tor auf der anderen Seite wenige Höhenmeter abwärts.
Oberhalb einer Geröllmulde gen Westen drehen - die Aufstiegsflanke inklusive dem Karlspitz-Normalweg nun direkt im Fokus.
Die vor uns liegende Schuttwanne überqueren, jenseits einen grasig-schrofigen Buckel hinauf.
Vom oberen Ende des Höckers in ein Schotterfeld, auf mäßiger Spur im hin und her bergauf zum Felsansatz (ca. 2.100 m).
Hier beginnt der Normalweg zur Vorderen und Hinteren Karlspitze - sporadisch angezeigt durch rote (vormals blaue) Markierungen.
Rechtsseitig zum ersten Aufschwung laufen.
Im leichten Fels (I+) empor zu einem zweiten Geröllhang - welcher auf spärlich angezeigter Linie traversiert wird.
Ein respekteinflößender Steilhang trennt uns noch vom Verbindungsgrat zu den beiden Gipfeln.
Dabei schwebt hoch über unserem Kopf ein markantes Bügeleisen
- ein 17 m ausladendes Felsdach unterhalb des Gipfelgrat.
Für uns ein wertvoller Orientierungspunkt, da wir unterhalb des Dachs zum Ausstieg aus der Flanke traversieren werden.
Durchschnaufen - und ab ins Gestein. Farbige Punkte erleichtern die Orientierung im Durchstieg dieses heiklen Abschnitts. Zwischen luftigen Klettereinlagen (bis II) finden sich auch immer wieder Gehpassagen - welche von einer wenig vertrauenerweckenden Griesauflage geprägt sind. Die Turnerei findet in den derbsten Stellen Unterstützung durch einige Eisenbügel. Angesichts des heftigen Geländes ist das auch dringend nötig. Die Schlüsselstelle, ein griffarmer 8-m-Aufschwung nebst leicht überhängendem(!) Finale, wäre ohne Krampen unbegehbar. Der Fortgang quert auf einem schmalen Band das besagte Bügeleisen unterhalb. Letzte Steilheiten enden mit dem Ausstieg am Verbindungsgrat (ca. 2.200 m) zwischen den beiden Bergspitzen.
Auf der nicht markierten Schneide rechts einschwenken. Eine moderate Barriere hinauf (Steinmann!), zuletzt im gutmütigen Areal zum Gipfel der Hinteren Karlspitze (2.281 m). Der Blick nach Norden präsentiert den Zahmen Kaiser in seiner ganzen Pracht - umrahmt von den begrünten Erhebungen der Chiemgauer Alpen und der unendliche Weite des Alpenvorlandes. Wir können auf die bekannten Klettergipfel Christaturm nebst Fleischbank, sowie in die Westwand des Predigtstuhl ferner auf das Treiben in der Steinernen Rinne herabschauen. Die Sicht gen Süden ist etwas reduziert, kommt von der Vorderen Karlspitze deutlich besser zur Geltung. Machen wir uns also auf den Weg dorthin!
Zurück zum Ausstieg aus der Ostflanke kraxeln.
Der Weg
zum vorderen Gipfel erscheint von dort nicht schwierig, hat es aber durchaus in sich.
Wo immer es geht direkt am Grat bleiben.
In flüchtigen Passagen zwingt uns das Terrain in die Westflanke.
Kurze Stellen (II und ausgesetzt) heizen unsere Adrenalinproduktion an.
Etwa 20 Minuten später können wir unsere Hand an das Kreuz der Vorderen Karlspitze (2.260 m) legen.
Hier öffnet sich nun hindernisloser Ausblick gen Süden.
Der Alpenhauptkamm mit seinen vergletscherten Riesen stellt dabei das Gusto-Stück.
Vom Gipfel den Grat zurück balancieren. Unter voller Konzentration zum Ellmauer Tor abklettern. Dort auf bekanntem Weg über den Klettersteig der Steinernen Rinne abwärts. Während der einfachen Wanderung zurück zur Griesner Alm können wir unsere erlebnisreiche Bergtour Revue passieren lassen.
Autor (Bilder und Texte): Andreas
Bewertung
Reviewer: Andreas